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Prof. Dr. Walter van Laack

 

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Erklären erhöhte Hirnaktivitäten vor Eintritt des Todes Nahtoderfahrungen?

 

© von Prof. Dr. med. Walter van Laack

Beitrag für das Netzwerk Nahtoderfahrung 2013

 

 

Vor kurzem wurde von Studienergebnissen einer Forschergruppe um J. Borjigin der University of Michigan in Ann Arbor (USA) berichtet, die mit Ratten experimentiert hatten. Dabei wurden die Hirnaktivitäten von neun Ratten im Wachzustand, unter Narkose und nach einem Herzstillstand miteinander verglichen. Tatsächlich zeigten alle Tiere in den ersten 30 Sekunden nach dem Herzstillstand auffällig synchrone Muster sogenannter Gamma-Wellen, so als ob das Gehirn wach und besonders stark stimuliert wäre. Die erst jüngst entdeckten Gamma-Wellen werden zurzeit mit besonderen Konzentrationsleitungen des Gehirns, aber auch mit transzendenten Erfahrungen in Verbindung gebracht.

 

Bereits 2009 hatte eine Gruppe von Wissenschaftlern an der George Washington Universität in den USA an sieben sterbenden Patienten festgestellt, dass deren Hirnaktivität kurz vor ihrem Tod deutlich, aber zugleich sehr kurz, ansteigt.[1]

Der Teamleiter Dr. L. Chawla interpretierte diese Entdeckung wie folgt: „Alle Neuronen im Gehirn sind miteinander verbunden. Erhalten sie keinen Sauerstoff mehr, so verlieren sie ihre Fähigkeit, Ströme zu erzeugen. Stoppt die Durchblutung, dann geben alle Neuronen nahezu zur gleichen Zeit nochmals verstärkt Signale ab, und es entsteht eine Art Domino-Effekt. Dieser könnte die vermehrte Hirnaktivität erklären.“

 

Schließlich haben jüngst kanadische Mediziner von der University of Montreal (Kanada) in Zusammenarbeit mit dem rumänischen Arzte Dr. Florea aufgrund einer einzelnen Beobachtung bei einem tief komatösen Patienten ein Experiment mit Katzen durchgeführt. Man versetzte sie in ein künstliches Koma. Nachdem man eine Nulllinie im EEG sah, die heute als Zeichen für den Stillstand jeglicher Aktivität des Großhirns gilt, stellten sie fest, dass es dennoch bei allen Katzen noch Schwingungen im Hippocampus gab. Dies ist eine Hirnregion, der man entscheidende Bedeutung für das Lernvermögen und für Erinnerungen beimisst. Man folgerte daraus unter anderem auch, dass möglicherweise Inhalte von Nahtoderfahrungen (NTE) letztendlich selbst dann noch als vom Gehirn produziert gelten müssen, wenn nach herkömmlicher Auffassung keine Hirnaktivität mehr vorhanden ist.

 

Insgesamt deuten einige Forscher, vor allem aber auch zahlreiche meinungsführende Medien in ihren Veröffentlichungen in letzter Zeit diese Befunde allesamt als klare Signale für eine rein physiologische Basis von Nahtoderfahrungen (NTE). Insbesondere sehen sie hier klare Gründe dafür, dass Betroffene ihre NTE bei meist völliger Orientierung und großer Klarheit erleben. Andererseits würden die meisten der ins Leben zurückgekehrten Patienten derartige Erfahrungen ja gar nicht erst schildern, was wohl darauf zurückzuführen sei, dass sich der Wegfall der Sauerstoffzufuhr dann letztlich doch zu stark auf ihr Erinnerungsvermögen auswirken würde.

 

Da wir wissen, dass für hirnorganische Höchstleistungen und auch dann, wenn es sich um Halluzinationen handelt, hohe Hirnaktivitäten erforderlich sind, scheinen diese Ergebnisse all jenen gut zupass zu kommen, die an eine rein hirnphysiologische Ursache von Nahtoderfahrungen glauben.

Der immer wieder dagegen gehaltene Einwand, man habe aber auch klassische und sehr komplexe NTE nachweislich bei EEG-Nulllinien gehabt, also im Falle eines gesicherten Stillstandes aller Hirnaktivitäten, wird nun auch dann nicht mehr akzeptiert, wenn ein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang von NTE und EEG-Nulllinie mit zumindest sehr großer Wahrscheinlichkeit darstellbar ist, aber nicht als völlig sicher gelten kann. Dann verweist man eben auf jüngst gefundene Restaktivitäten im Hippocampus.

 

Es stellt sich damit die Frage, ob die nun vorgelegten Untersuchungsergebnisse nicht letztlich doch eher tatsächlich auf eine physiologische Genese von NTE im Gehirn schließen lassen und jede Interpretation als eine spirituelle Erfahrung zu  reiner Esoterik reduzieren.

Ich glaube, diese Schlussfolgerungen sind überheblich und schlichtweg falsch!

 

1) Natürlich ist zunächst richtig, dass in keinem Fall einer dokumentierten NTE bei EEG-Nulllinie zu Einhundertprozent ausgeschlossen werden kann, dass das Erlebnis kurz vor oder nach dieser Inaktivitätsphase, vielleicht gerade in einem Übergang zwischen Bewusstlosigkeit und Bewusstsein, gemacht wurde. Dennoch ist auch diese kritische Annahme rein spekulativ und nicht beweisbar.

Derartige Entgegenhaltungen bei medialen Auftritten, sind, wie zuletzt noch durch einen Neuropsychologen in einer Wissenschaftssendung im Fernsehen erneut geschehen[2], schlichtweg unwissenschaftlich.

Es gibt zahlreiche Argumente, die einer solchen kritischen Unterstellung widersprechen. Zum Beispiel müsste dann auch beim Eintritt einer Narkose oder dem Wiedererwachen danach, vielleicht nicht immer, so doch sehr häufig mit einer akut erhöhten Bewusstheit und Orientierung gerechnet werden. Dies ist aber tatsächlich nicht der Fall. So habe allein ich selbst bislang über gut 15.000 Operationen in Vollnarkose durchgeführt, ohne jemals von einem Patienten Derartiges gehört zu haben. Auch bekommt etwa die Hälfte meiner Patienten während ihres Eingriffs einen Kopfhörer mit Musikeinspielungen aufgesetzt, aber noch nie hat einer davon irgendetwas erzählt – auch nicht auf Befragen.

 

2) Die Forscher der Washingtoner Studie um Dr. Chawla (2009), bei denen an sieben Menschen kurz vor Eintritt ihres Todes erhöhte Hirnaktivitäten im EEG nachgewiesen wurden, stellen bereits selbst fest, dass ihre Ergebnisse aus verschiedenen Gründen keine Rückschlüsse zu NTE zuließen. Zum einen hatten sie kein vollständiges EEG bei ihren Patienten, um den ganzen Umfang der Beobachtungen zu verstehen. Zweitens konnten sie nicht einmal die Möglichkeit von Artefakten oder anderen Signalen ausschließen, die für diese Spitzen auch verantwortlich hätten sein können. Aber selbst, wenn man technische Fragen unberücksichtigt ließe, so kamen sie selbst zu dem Schluss, dass die erhöhte EEG-Aktivität nur sehr kurzzeitig und zu Beginn der Anfangsphase einer tatsächlich einsetzenden EEG-Abschwächung auftrat. Und was NTE beträfe, so könnte hier bestenfalls über einen Auslösefaktor gesprochen werden, eine Schlussfolgerung, die ich hier gleich gerne noch einmal aufgreifen werde.

 

3) Im Gegensatz zu manch anderen, aus meiner Sicht voreiligen Interpretationen mit den zuvor ausgeführten Beobachtungen einiger Forscherteams in jüngster Zeit, weisen auch Dr. Chawla und sein Team der Washingtoner Universität darauf hin, dass über besondere Inhalte von NTE natürlich gar nichts gesagt werden könne. Insbesondere Ratten- und Katzenversuche sind hierfür nicht zugänglich: Selbst dann, wenn man unterstellt, dass auch sie infolge einer evolutionär nachweisbaren, konstant aufwärts gerichteten Entwicklung ihrer Zentralnervensystem (ZNS), zumindest rudimentäre bewusste Erfahrungen, im Falle ihres Todeseintritts machen könnten, sollten kaum vergleichbare Inhalte auftreten. Man muss daher natürlich auch die eindeutige Konstanz bekannter NTE-Muster und ganz spezieller, tief reichender persönlicher Konsequenzen von Betroffenen mit in die Diskussion einbeziehen, wenn man irgendwelche Aussagen über das Wesen von NTE überhaupt machen möchte.

 

4) Danach weisen NTE – neben den üblicherweise auch physiologisch durchaus, in wenngleich zumeist weder quantitativ noch qualitativ vollständig erklärbaren Grundmustern, „Tunnelerlebnis, Lichterfahrung, Stimmungsaufhellung bis hin zur Euphorie und Schmerzfreiheit – vor allem tief reichende emotionale und in der Regel ein Leben lang anhaltende persönliche Veränderungen auf: Dazu gehören auch das Gefühl von Liebe und des Geliebtwerdens sowie der Verlust jeglicher Angst vor dem späteren Tod und nicht zuletzt auch oft gravierende Änderungen ihres persönlichen Lebensweges mit mehr Spiritualität, Sensibilität für andere Menschen und ihre Belange sowie weniger materielles Besitzgehabe.

 

5) Völlig absurd auf rein physiologische Weise zu erklären, sind natürlich später eindeutig nachweisbare Wahrnehmungen außerhalb des auf dem OP-Tisch oder am Unfallort möglichen Ereignishorizontes, z.B. des Blickfelds aufgrund von Out-of-Body-Experiences (OBE, außerkörperliche Erlebnisse, AKE). Gerne verweise ich hier auch auf die längst historische Vergleichstudie von Dr. Michael Sabom mit 32 wiederbelebten NTElern, die ihrer eigenen Reanimation aus einer Vogelperspektive zugeschaut haben wollen und 25 Nicht-NTElern, die aber über das generelle Vorgehen bei Reanimationen aus beruflichen Gründen Bescheid wussten. Während er bei den Schilderungen der Kontrollgruppe erhebliche Fehler feststellte, fand er keine bei der Verum-Gruppe. Unzählige OBE sind heute weltweit wohl dokumentiert. Ihrer möglichen Realität ist mit keiner physiologischen Erklärung beizukommen, da danach der „Geist“ ja nie hätte „auf Reisen“ gewesen sein können, was wiederum der von den Betroffenen als real empfundenen, eigenen Erfahrung eindeutig widerspricht.

 

6) Auf zwei Punkte, die nicht nur mit bekannten NTE-Inhalten argumentieren, sondern ausschließlich auf die hier zu diskutierenden EEG-Beobachtungen eingehen, möchte ich noch abschließend zu sprechen kommen:

 

6.1) Wenn das EEG eine Nulllinie aufweist, ist das Großhirn nicht mehr in der Lage, bei hoher Orientierung und bei klarem Denken Höchstleistungen zu erbringen, wie sie bei rein physiologischer Wertung der bekannten NTE-Inhalte zwingend notwendig wären. Daran ändert auch nichts der Nachweis von EEG-Aktivitäten im Hippocampus. Dieser entwicklungsgeschichtlich älteste Teil unseres Großhirns und zugleich Teil des sogenannten „Limbischen Systems“ dürfte nach den bisherigen Erkenntnissen sicher wichtige Funktionen bei der Überführung von Wahrnehmungen gleich welcher Art ins Gedächtnis, vor allem auch und gerade ins Langzeitgedächtnis, haben. Es wäre aber absolut vermessen anzunehmen, hier würden Gedächtnisinhalte bewusst rekapituliert, miteinander verbunden und gewichtet, und setzten vielleicht sogar eigenständig den Anstoß für spätere lebensverändernde persönliche Entwicklungen und Verhaltens-weisen. Tatsächlich findet sich der Hippocampus ja auch schon beim Krokodil, was eher auf eine Art für spezielle Zwecke notwendiges, selbst unbewusst agierendes „Gerät im Gerät“ hinweist. Ohne Großhirnaktivität aber bleibt auch ein weiterhin aktiver Hippocampus so wenig bewusst wahrnehmend und „denkend“ wie eben ein Krokodil. Wenn aber gerade auch Bewusstheit ein wichtiger Bestandteil von NTE ist, ein hierfür jedoch zumindest zwingend funktionierendes Großhirn aber keinen Piep mehr von sich gibt, müssen wohl – und wie ich meine – berechtigterweise auch ganz andere Möglichkeiten in Betracht gezogen werden.

 

6.2) Tatsächlich handelt es sich bei den nachgewiesenen Großhirnaktivitäten um äußerst kurzzeitige EEG-Spitzen (Peaks) bei schon eingeleitetem Abfall der EEG-Kurve zum Zeitpunkt des dann unmittelbar später eintretenden Todes. Wie bereits Dr. Chawla von der Washingtoner Forschergruppe vermutete, könne hierbei allenfalls von einem Auslösefaktor für NTE gesprochen werden. Dies möchte ich hier noch einmal kurz aufgreifen: Wenn wir positiv davon ausgehen, dass es einen Geist gibt, der zum Zeitpunkt des Todes alle Facetten der Persönlichkeit des sterbenden beinhaltet – wie ich vermutete, quasi als bereits lebenslang erfolgtes „informationelles Backup“ aller bis dahin erfolgten Handlungen, Emotionen und Erfahrungen, aber auch der lebenslang sinnlich wahrgenommenen körperlichen Zustände – dann bedarf es regelrecht eines „Anstoßes“, sich von diesem Körper ultimativ zu lösen. Dann ist zu fordern, dass mit Eintritt des Todes eine Art „Signalkaskade“ eingeleitet wird, die in nicht ganz so Existenz bedrohenden Stresssituationen während des Lebens hier und da auch schon mal in jedoch qualitativ minderwertigerer Form – und dennoch ähnlich – auftreten kann. Sie führt zu einer Art „Öffnung“ der – evolutionär bedingt – zwingend erforderlichen Reduktionsfilterfunktion unseres Gehirns, durch die normalerweise etwa 99% aller ständig auf uns einflutenden Informationen von unserem Bewusstsein ferngehalten werden.

Damit werden wir uns plötzlich einer anderen Existenzebene bewusst uns bekommen Zugang zu ihr, im Stressfall nur temporär, im Todesfall auf Dauer. Es ist so ähnlich, als ob sich bei einem Planetarium das Dach wie bei einer Sternwarte plötzlich öffnet und wir auf einmal viel, viel mehr sehen, als uns an der geschlossenen Decke bei schlechtem Wetter simuliert werden kann oder wird. Mit dieser Vorstellung lassen sich im Übrigen unzählige Beobachtungen auf einen Schlag erklären, die bislang von Medizin und Biologie nur mühsam und unvollständig angedacht, aber nicht erklärt werden können.[3]

Eine solche Vorstellung macht jedoch ein kurzzeitig nachweisbares, das ganze Gehirn involvierendes Zusammenspiel der neuronalen Basis überaus plausibel und könnte damit für die nachgewiesenen EEG-Peaks verantwortlich sein.

 

Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich trotz klarer Argumente gegen die Annahme, mit den neuerlichen EEG-Phänomenen sollte (für viele endlich) einer spirituellen oder metaphysischen Basis von Nahtoderfahrungen der Boden entzogen werden können, dennoch etwas klarstellen: Die NTE-Forschung stellt keinen Beweis für ein Überleben des Todes dar. Genauso wenig aber kann es durch einzelne Ergebnisse auf diesem Gebiet einen Gegenbeweis geben, wie es wohl überhaupt nicht möglich sein kann, auf nur einem einzelnen Gebiet einen Beweis für oder gegen etwas zu liefern, das alle Bereiche unserer Existenz betrifft.

Von daher ist es unabdingbar, sich auch allen anderen, insbesondere den naturwissenschaftlichen Fächern mit Akribie zu widmen und nach Tellerrand übergreifenden Gemeinsamkeiten und Erklärungen zu suchen. Nur dann kann es zu einer plausiblen und übergreifend stimmigen Argumentationskette kommen, in die sich die NTE-Forschungsergebnisse womöglich nahtlos einschließen lassen. Genau das ist seit Jahrzehnten mein Bestreben, und genau das habe ich bereits in zahlreichen Büchern ausführlich und mit wachsender Substanz zu demonstrieren versucht.



[1] J. Palliative Med. Vol. X, No. X (2009)

[2] Dr. Christian Hoppe in der TV-Sendung „Planet Wissen“, WDR, 04.10.2013. Wdh. HR, 06.10.2013

[3] Hierzu gehört nebst vielem anderen auch das Phänomen von Inselbegabungen bei mach einem debilen Autisten!